Raus auf die Straße zum CSD

Wir teilen hier den Aufruf des CSD Kiel e.V.:

Das Motto der Kieler CSD 2018 lautet: „Queere VielfALT – ein Leben lang“. Was wir damit meinen, und warum dieses Thema jeden angeht, haben wir im folgenden Text zusammengefasst:

Wachsende Isolation und Einsamkeit im Alter sind in unserer Gesellschaft zunehmend ein generelles Problem. Für ältere LGBTIQ verschärft sich dieses Problem häufig noch zusätzlich aufgrund ihrer besonderen Lebensgeschichte und alternativen Lebensstrukturen.

LGBTIQ-Senioren*innen blicken zurück auf einen langen Lebensweg durch Zeiten, in denen die Erfolge der Emanzipationsbewegung für viele noch nicht einmal ein Hoffnungsstreif am Horizont waren. Viele schauen zurück auf mühsame Lebensgeschichten, in denen sie häufig genug auf sich allein gestellt waren, Wege für ihre sexuelle Orientierung zu finden. Ausgrenzung, Diskriminierung, physische oder psychische Gewalterfahrungen, spätes Coming Out, Trennung von der Familie, Verlust von Freunden und sozialer Einbindung, Erfahrungen mit HIV und AIDS, für die Szene zu „alt“ und für die Arbeitswelt schon immer zu „anders“.

Nicht selten ist angesichts der schwierigen Lebensgeschichten das Verhältnis zur eigenen Identität nicht geklärt oder zumindest belastet. Wer aufgrund der mangelnden gesellschaftlichen Akzeptanz von alternativen Lebensentwürfen über Jahre oder gar Jahrzehnte mit seinen Gefühlen, Wünschen und Bedürfnissen im Verborgenen geblieben ist, dem fällt es auch im Alter nicht leicht, mit diesen Fragen umzugehen.

Rückzug und Einsamkeit drohen. Umso mehr, da klassische Familienstrukturen oft fehlen und älteren LBGTIQ alternative Lebens- und Familienmodelle in ihrer Zeit noch nicht als Alternative zur Verfügung standen.

Es stellt sich die Frage, wer hilft mir, an wen kann ich mich wenden, wenn der Alltag Probleme aufwirft, die allein nicht mehr zu bewältigen sind? Wer hat ein Ohr und Erfahrung mit den Besonderheiten des Altwerdens als LBGTIQ?

Seniorenberatungen von öffentlichen, sozialen und privaten Institutionen gibt es viele, offline und online auch im Netz. Aber sitzen hier Ansprechpartner mit kompetenten Antworten, die verstehen, was es heißt einen anderen Lebensentwurf gelebt zu haben? Können diese nachvollziehen, wie es sich anfühlt, auf Hilfe angewiesen zu sein, ohne zu wissen wie der fremde Mensch, der diese Hilfe leistet zu meinem Lebensmodell steht?

Viele Senior*innen stellen sich dann – einmal mehr –  die Coming Out Frage: stehe ich zu meiner Sexualität oder verheimliche ich diese lieber? Der Kreislauf der Ab- und Ausgrenzung, der schon in der Vergangenheit viel Sorge und Leid bereitet hat, beginnt aufs Neue. Was passiert, wenn es doch jemand erfährt?

Alt und LGBTIQ – diese Kombination kann es in sich haben.

Die Gefahr im Alter wegen der sexuellen Orientierung ausgegrenzt zu werden, ist sehr groß.

Aus diesem Grund versuchen viele, ihren Lebensentwurf zu verbergen und leben „ihren“ Lebensabend wieder heimlich. Den jüngeren Generationen fällt das „Outing“* und offene Leben dagegen deutlich leichter. Doch die Diskriminierung in der Öffentlichkeit ist auch heute noch in allen Lebensbereichen vertreten und wird zum Teil auch toleriert, ohne dass aktiv dagegen angegangen wird.

Im Alter können sich diese meist lebenslangen „Begleiterscheinungen“ homosexueller Biografien oft noch einmal verstärken. Es klingt so banal wie verständlich: Auch in der traditionellen Altenhilfe fühlen sich LGBTIQ als Kunden, Klienten oder Bewohner nicht gut aufgehoben. Ängste vor Diskriminierung und/oder vor unsensiblen Pflegekräften, die mit dem Thema Homosexualität nichts anfangen können oder nicht sensibel darauf eingehen können, sind nicht unbegründet.

Vorurteile lassen sich oft weniger durch Argumente als durch die Konfrontation mit der Realität abbauen, da das Wesen von Vorurteilen ja gerade die unsachliche Verzerrung der Realität ist. Wir wollen mit dem diesjährigen Motto des CSD in Kiel das Augenmerk auf diese besondere Problemstellung richten, die nicht so im Vordergrund der Diskussionen steht.

Zu einer vielfältigen und offenen Gesellschaft gehört, dass alternative Lebensmodelle in jeder Lebensphase ihren Raum finden und finden dürfen. Daher ist es wichtig, dass Beratungsstellen, Pflegekräfte und Ärzte verstehen können, wie prägend die Erfahrungen und der Umgang mit der eigenen sexuellen Orientierung für die individuelle Lebensgeschichte ist. Und wie das Leben im Alter mit dieser Geschichte gestaltet werden kann.

Verschließt daher nicht die Augen, denn das Alter macht vor Niemandem halt!

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